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GESPRÄCHE ÜBER PERFORMANCE UND PUBLIKATIONEN
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Anna Till

ist freischaffende Choreografin und Tänzerin mit Basis in Dresden. Sie spricht über die Publikationen All together (2010) und To think to say to do one thing (2017). https://www.annatill.de/

Gespräch mit Anna Till im März 2023

Anna Till im Gespräch mit Henriette Aichinger und Elena Strempek am 31.03.2023 / Ort: Villa Wigman in Dresden

Elena: Welche Publikationen hast du dabei?

Anna: Zwei. Eine von 2010. Mein Abschluss von meinem Studium eigentlich. Die heißt All together. So ein kleines Büchlein, das sieht aus wie ein kleines Reclam-Heft. War zumindest die Idee damals. Und dann habe ich noch dabei den Index von einer anderen Publikation. Die heißt To think to say to do [one thing]. Da geht es um eine Workshopreihe, die ich an der HfbK Hamburg gegeben habe, mit Cindy Denner, einer Tanzwissenschaftlerin. Aber die Publikation wurde von der HfbK herausgegeben, also von Lena Ziese, die uns eingeladen hat. Genau.

Elena: Und kannst du uns sagen, warum du Publikation machst und an welchem Punkt du angefangen hast, über das Format oder das Medium Publikation nachzudenken? Ob es da einen Auslöser gab...

Anna: Ja, das ist eine sehr schöne Frage, weil dann kann ich was zu der ersten sagen, denn die erste Publikation habe ich tatsächlich ja selbst herausgegeben und selbst initiiert. Und ich habe damals am HZT [ Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin] studiert, zeitgenössischer Tanz Kontext Choreografie im Pilotstudiengang. Und damals gab es gar keine Vorgaben – was macht man für einen Abschluss? Und da habe ich gesagt: "Kann ich bitte eine Publikation machen? Gibt es Geld?" Ich habe das quasi selbst erfunden oder eigeninitiativ gemacht und habe auch Geld bekommen für die Produktion. Und ich habe das gemacht, weil ich damals auch extrem verunsichert war, mit mir und meinem Körper auf die Bühne zu gehen.

Ich denke, es ist zum einen: Wie finde ich noch ein anderes Medium, in dem ich meinen Tanz oder die Themen, die mich beschäftigen, mitteilen kann – wofür ich selber aber nicht anwesend sein muss? Also wo ich selber nicht da bin, nicht präsent bin. Und das andere ist, – und das beschäftigt mich schon lange, aber ich habe jetzt glaube ich die Seiten gewechselt – dass immer gesagt wird, der Tanz ist flüchtig. Also der Tanz, der erscheint und der vergeht wieder und du bist dabeigewesen oder nicht, und du schreibst dich ein in die Geschichte, oder nicht.

Man schreibt sich aber ja über ganz bestimmte Objekte, sag ich mal, ein oder bleibt. Ich weiß gar nicht... Also mir ging es vor allem darum, irgendetwas Bleibendes auch zu haben oder was zu haben, was ich zum einen den Leuten mitgeben kann, was man auch mal wieder rausholen kann, sich nochmal anschauen kann. Ja, eigentlich ist es mehr das. Und so ein bisschen dem was entgegenzusetzen, dass der Tanz so flüchtig sei oder speziell der Tanz so flüchtig sei.

Henriette: Bei den beiden Publikationen war es ja vermutlich sehr unterschiedlich, wie du dann sozusagen zur finalen Publikation gekommen bist. Kannst du über diesen Prozess, also zum Beispiel über die Gedanken, die du hattest, zum Material, zu Größe, zum Format, zum Gebrauch – ob das jetzt eine Publikation ist, die man einfach, beiläufig gebraucht oder eine große etwas unhandliche ist – kannst du darüber etwas erzählen?

Anna: Also da ist eigentlich nur All together interessant. Das andere ist ja eine Publikation, die wurde in Auftrag gegeben. Also das fand ich eine tolle Idee und die habe ich mitentwickelt, aber das war nicht meine ureigene Idee. Und bei dem All together ist es mit Absicht so, dass man das in die Hosentasche stecken kann. Also ich glaube, ich wollte Postkartenformat, gängiges Din A6. Genau. Und ich wollte auch – das war mir ganz wichtig und das war auch gar nicht leicht mit der Druckerei – ein extrem dünnes Papier. Also es hat fast so ein Bibelpapier hier drin [Anna reibt die Seiten]. Wahrscheinlich weil das, was darin steht, sind einfach nur transkribierte Mailboxnachrichten. Aus denen habe ich einen Tanz entwickelt. Da sind in der Mitte dann die Fotos platziert. Anyhow... kam mir das so vor, wie diese Abreißkalender für jeden Tag. Die haben ja auch ein sehr dünnes Papier. Und genau da hatte ich Lust drauf. Deswegen ist das auch ein biegsames Material, kein Hardcover. Ja, das wusste ich, glaube ich, schon ziemlich schnell.

Elena: Würdest du sagen, dass diese Publikation eine körperliche Erfahrung ist?

Anna: Hm. Ach, wie schön. Ähm... das muss jeder selbst entscheiden. Ich meine, jedes Buch kann eine körperliche Erfahrung sein, glaube ich. Aber sie enthält jetzt keine Anweisungen zum Bewegen, sondern sie gibt eigentlich so einen Einblick auch in meine Arbeitsweise zu diesem kleinen Stück All together. Was hast du nochmal gesagt? Eine Einladung? Eine körperliche Erfahrung? Ich denke schon. Also, so wie ich mit ihr umgehe, auf jeden Fall. Es hat ja jeder damit eine körperliche Interaktion. Man fasst es an, legt es irgendwo hin. Holt es irgendwo raus. Ich würde schon sagen, ja.

Henriette: Hattest du die Gedanken darüber allein oder hast du das Buch mit Buchmachern zusammen konzipiert?

Anna: Ja, auf jeden Fall. Das ist natürlich nicht alleine entstanden, weil ich das nicht kann. Und deswegen habe ich eine Freundin gefragt – eine befreundete Künstlerin: Juliane Schmidt. "Juliane, hast du Lust, mit mir ein Buch zu machen?" Also ich bin mit Juliane alle Fragen zur Gestaltung und zur Materialität durchgegangen... Wo drucken wir das? Wie sieht das aus? Und ich habe auch das ganze Lektorieren und diesen ganzen Schnulli habe ich gemacht und Juliane hat das eben gesetzt. So, dass man es drucken kann, genau. Aber über Zielpublikum habe ich dabei überhaupt nicht nachgedacht. Also ich habe dann was gemacht, ich war so Fan von diesen "stacks", hatte mir das von Felix Gonzales Torres abgespeichert, so ein Künstler und habe einfach so ganz viele immer übereinander und man konnte sich die dann einfach mitnehmen. Ja. Es ging nicht darum, die zu verkaufen. Ja, das war glaube ich schon klar. Das Buch geht nicht in den Buchhandel, das wusste ich. Und dann habe ich eben diese Performance gemacht, die ging neun Minuten oder so, dieses Bewegungsmaterial, was ich eben auf das Buch bezieht. Und dann konnte man sich so ein Buch mitnehmen, wenn man selber wieder eine Nachricht hinterlässt. Also und dann waren immer, also unter diesen Dingern (Publikationen), war immer so ein Papier und dann hatten die Leute mit Datum anonym ihre Nachricht aufgeschrieben und dann war ein Buch weg. Das war ganz schön. Also ich wollte in so einen Austausch gehen auf jeden Fall. Ich wollte das jetzt nicht so auf die Straße werfen.

Elena: Das heißt sozusagen der Akt des Buchmitnehmens war auch Teil der Performance?

Anna: Ja, das war Teil der Performance. Das habe ich so angekündigt. Und dann habe ich getanzt. Ich weiß nicht mehr, was ich zuerst gemacht habe, ehrlich gesagt. Aber das Tanzen fiel mir immer viel schwerer als alles.

Elena: Ja, da schließt sich eigentlich die Frage gut an, oder vielleicht hast du sie auch schon beantwortet: Wie sich sozusagen die Publikation zu der Performance verhält? Wir sprechen da oft von einem Übersetzungsprozess oder einem Transfer – wie sind so deine Gedanken dazu?

Anna: Naja, in dem Fall ist es wirklich so... also hier sind alle Mailboxnachrichten drin aus einem bestimmten Zeitraum – fast ein Jahr, sag ich mal ganz grob. Und ich habe aber Bewegungsmaterial entwickelt zu Worten und ich habe das quasi extrem – wie sagt man das – reduziert und das ist eigentlich das größere Bild. Das Buch, die Publikation ist das größere Bild, würde ich sagen. Also ein Übersetzungsprozess würde ich nicht sagen, sondern eher, wenn ich tiefer reingehen will oder wenn ich das größer aufblättern will, ein größeres Bild haben möchte, dann bekomme ich das hier.

Henriette: Meinst du, dass die Publikation etwas kann, was die Performance nicht konnte? Oder – im Allgemeinen betrachtet – was sie nicht kann?

Anna: Ja, also, ich meine, das wisst ihr bestimmt auch... Aber was ich so toll finde, ist, dass die Publikation, mit der kann ich mich alleine beschäftigen. Also mit der kann ich mich, wann ich will, wie lange ich will, wo ich will, ob ich will beschäftigen und das ist was, das hat mich oft an Performances... nicht gestört, aber... Ich finde, das ist oft so extrem limitiert. Wir kommen alle zusammen – zu derselben Zeit, im selben Setting, wir müssen alle irgendwas beachten und dann läuft das Ding durch und dann gehen alle nach Hause. Und das ist natürlich ein tolles gemeinsames Erlebnis. Aber ich mag daran diesen individuellen Bezug. Ja.

Elena: Möchtest du vielleicht noch mal etwas über die andere Publikation, die du auch mitgebracht hast, erzählen?

Anna: Wir haben über drei Jahre lang drei Workshops gemacht. Und dazu gab es unglaublich viel Material: Fotos, Dokumentationsmaterial, unser Recherchematerial. Und dann hatte Lena Ziese, die Professorin, die uns eingeladen hat, die Idee, eine Publikation zu machen, was ich toll fand. Die ist wirklich auch sehr sehr schön geworden und das haben aber vier befreundete Designer gemacht und die haben am Ende diese ganzen Ideen da reingebracht. Aber, also für mich ist, sag ich mal, das Tolle daran, ich habe quasi eine Vermittlungsarbeit gemeinsam mit Cindy geleistet und jemand anderes hat irgendwie diesen Mehrwert übersetzt, in dem Fall, und auch Sachen in Worte gebracht, die eben tatsächlich einfach so oft vergehen. 

Diese ganzen Übungen, die in irgendwelchen Notizheften stehen und dieses ganze... und für diesen ganzen Bereich, wie vermittele ich Tanz, wie unterrichte ich Performance und/oder den Umgang mit Bewegungen auch in einem Bereich, der nicht das Tanzfeld ist, sondern eben Kunsthochschule in dem Fall. Das ist echt wie so ein tolles kleines Nachschlagewerk dazu und das beleuchtet eben Lecture-Performance und ganz verschiedene Sachen. Und Cindy hat einfach auch tolle Texte dazu geschrieben, die das kontextualisieren für Leute, die sonst gar nicht mit Tanz zu tun haben. 

Und für mich ist das einfach ein geniales Produkt, weil das den Tanz auf so eine schöne Art, auf so eine wirklich gestalterisch auch schöne Art, wofür ich nie die Fähigkeit hätte, das zu tun, versammelt. Und ich glaube, das ist eigentlich mein Beitrag, den ich euch hier mitgebracht habe. Von daher ist gar nicht so verkehrt, weil ich habe ja diese Anleitung geschrieben und ich wollte auch, dass das da reinkommt. Und die Gestalter haben das dann eben "Index" genannt und "Workshopbeschreibungen" und ich dachte: hey, dass daraus wirklich jemand wieder was machen kann, wenn er sie will.

Elena: Also, da sind Handlungsanweisungen drin?

Anna: Genau.

Elena: Möchtest du uns vielleicht eine mal vorlesen?

Anna: Ja, eine kurze lese ich euch vor: “Eins, Nummer fünf: Vorbereitung für das Sehen und Beobachten. Inspiriert von der Choreographin Lisa Nelson. Handflächen aneinander reiben, bis sie warm sind. Danach die gewärmten Handballen dicht vor die Augen halten, dabei die Augäpfel entspannen und in die Augenhöhle sinken lassen. Nach drei Minuten die Augen langsam öffnen und die Umgebung neu wahrnehmen."

Elena: Und diese Einleger, diese farbigen Blätter – hatten die eine Funktion?

Anna: Ja. Wir haben einmal so was gemacht, da haben wir uns ein Stück angesehen von Lee Méir und haben wie so eine Rekonstruktion entwickelt, eine schnelle Ad-hoc-Rekonstruktion. Das Stück hieß Fourteen Functional Failures. Daher haben wir diese Worte. Und da ging es darum, dass es ein bisschen interaktiver wird, also dass da einfach diese Verben irgendwie herumschwirren, in diesen knalligen Farben und, dass sie da irgendwo zwischendrin rausfallen und ich muss mich bücken und die wieder irgendwo reinstecken. Also, wird Bewegung tatsächlich animiert.

Henriette: Es sind sehr unterschiedliche Projekte, finde ich. Das eine ist sozusagen eigentlich eine "Verwortlichung" von Bewegung und auch Kontextualisierung. Und bei der anderen Publikation ist es eigentlich genau andersrum. Dass du aus Worten heraus eine Performance machst.

Anne: Ja, total.

Henriette: Und hast du jetzt gerade im Moment das Bedürfnis, neue Projekte oder aktuellere Projekte auch in eine Publikation zu bringen? Weil du jetzt wieder an dem Punkt bist, dass du denkst du möchtest sie festhalten?

Anna: Ja, also was ich mir vorstellen könnte, ist ganz simpel: Jemand macht Fotos und dann wird das ein Fotoband. Tatsächlich habe ich gerade kein Bedürfnis nach Worten. Und das Stück, was jetzt kommt, da geht es einfach wirklich auch genau um dieses "Wir sind in dem Moment, in dem Moment zusammen und das ist das einzige, was zählt." Deswegen ist mir das gerade nicht wichtig. Aber was wir gemacht haben, wir haben gerade auch ein Stück gemacht für Teenager mehr oder weniger – für Schulen. Und da haben wir echt auch ewig gearbeitet und haben das "Fanzine" genannt, so ein kleines Eight-Pager. Kennt ihr das? Was man dann so faltet? Es ist am Ende wahrscheinlich auch eine... Ich weiß nicht, ob ihr das Publikation nennen würdet..., aber das bezieht sich auch wieder auf diese Lust der Vermittlung, weil – es ist ein Solo – und in dem ganzen Solo zitiere ich unglaublich viele Leute. Und das Fanzine ist so, dass man das einfach nochmal nachgucken kann. Also wie so ein Begleitheft. Da sind auch Fotos drin und es ist so ein bisschen witzig, ganz simpel. Da brauchten wir das. Da war das ein richtig wichtiger Teil. Also ohne dieses Ding hätte ich gedacht, och nee, ich setz den jetzt hier was vor und dann bin ich weg. Und die können nicht noch mal gucken. "Krass, das fand ich so interessant. Ach, hier,…" – was weiß ich – „Forsythe“ oder so. Ich komme mir schon manchmal vor, als hätte ich so ein bisschen so einen Auftrag, als müsste ich die Leute mit dem Tanz zusammenbringen, ... eben so vermitteln. Von daher gab es da ein sehr großes Bedürfnis. Das ist echt ein essenzieller Bestandteil dieses Stückes.

Elena: Ab wann würdest du sagen, dass so eine Publikation über eine Art von Dokumentation hinausgeht? Also ab wann steht sozusagen die Publikation als Kunstwerk für sich? Hast du da Gedanken dazu, was vielleicht ein Unterschied sein könnte?

Anna: Na, ich finde, dieses Buch All Together steht für sich, weil das einfach, wie Henriette gesagt hat, das war eigentlich der Ausgangspunkt. Das Material, was hier drin ist, war der Ausgangspunkt. Und das braucht die Performance meiner Meinung nach nicht. Obwohl, zwischendrin bezieht es sich schon auf die Performance auch. Oder sagt, es gibt eine Wechselwirkung zwischen der Bewegung und dem Wort – was ich mir halt überlegt hab... könnte sonst was sein – Genau. Und das finde ich schon. Ja, ich finde es interessant, weil ich mache ja schon Tanz und nicht Performance. Finde ich schon noch mal interessant, weil man da eben so viel spricht über Notation dann eher und Rekonstruktion und Scores. Und da hast du mal vorgelagert, mal nachgelagert und es geht immer um: Ist es das Ausgangsmaterial? Ist es das Erinnerungsmaterial? Was ist das irgendwie? Oder, du hast dann die Leute, die kommen und die zeichnen dich. Also das hab ich auch schon gehabt und dann sind es die Artefakte, die ein Teil von der tänzerischen Arbeit sind oder so?

Henriette: Möchtest du, dass deine Arbeit in einem Archiv zu finden ist?

Anna: Ja, auf jeden Fall! Aber, irgendwie ist es auch ein bisschen egal. Also, ich habe mich anderthalb Jahre mit Tanzgeschichte beschäftigt oder ich beschäftige mich immer recht viel mit Tanzgeschichte und habe ein langes Projekt gemacht zu Tanzgeschichte. Und da eben gemerkt, es ist einfach interessant: Was wird wie wo verwaltet und gesammelt und wie wird es dann wieder weiter bearbeitet? Und ich? Ja klar, warum nicht? Du fragst ja nicht, warum, oder? Ja, auf jeden Fall. Also, wenn andere da sind, würde ich auch da sein. Einfach ja. Ihr fragt ja. Du fragst ja nicht, warum, oder? Ja, auf jeden Fall.

Aufnahme & Transkription: Henriette Aichinger

Angelika Waniek Henriette Aichinger Anna Till Hermann Heisig Irina Pauls Nora Frohmann und Clemens Fellmann