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GESPRÄCHE ÜBER PERFORMANCE UND PUBLIKATIONEN
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Henriette Aichinger

ist Bildende Künstlerin und Performerin aus Leipzig. Ihre performativen Arbeiten sind immer auch Aufruf zu Kollektivität und Erzählung. Nachfolgend zeigt sie und spricht über die Abwesenheit einer Publikation. https://www.neboklak.de

Gespräch mit Henriette Aichinger im November 2022

Angelika Waniek im Gespräch mit Henriette Aichinger am 14.11.2022 / Ort: Studio NEBOKLAK in Leipzig

Henriette: Die Publikation zu meiner letzten Arbeit my 500 years old children ist bisher nur in meinem Kopf. Es kam nicht dazu, daß ich sie gemacht habe – obwohl sie schon konzipiert ist; auf Papier, für Papier. Grund dafür ist, daß ich einfach nicht alles auf oder in dieses flache Format bekomme, was damals geschehen ist. Oder was die Performance wollte… My 500 years old children ist eine performative Führung gewesen und sie wollte vor allen Dingen eine Gruppe zusammenführen – in einem Raum. Der Raum wurde anders wahrgenommen... durch unsere neue Nutzung. Seine Geschichte wurde mit Neuem überschrieben; durch eine Gruppenbewegung. Und für mich ist so eine Publikation… Genau,... zuerst hatte ich gedacht, ich mache eine Publikation, um zu umreißen, was durch eine performative Führung möglich wäre – auch an anderen Orten. Ich habe also versucht eher eine Dokumentation der Arbeit zu erstellen. So daß, wenn man im Prozedere einer Bewerbung steckt, man nicht einen Text hat, sondern Bilder und Notizen, die besser vorstellbar machen, was passiert, bei einer performativen Führung. Und dann ist mir aber aufgefallen, daß ich das erstens nicht adäquat finde – die Performance ist eine Bewegung und ist nicht reproduzierbar; und zweitens, daß ich schon damals – während der Performance – dachte, ich möchte nicht, daß dies hier einfach abgefilmt wird. Eine Erzählung würde einfach ein Video und es ist nichts zu sehen von den Geräuschen, Zwischentönen, dem Wetter, der Stimmung, den stillen Momenten in der Bewegung und den Veränderungen, die vor sich gingen. Also, zu entscheiden, ich mache jetzt Fotos meiner performativen Arbeit und drucke die dann in einem Faltblatt ab und schreibe drunter, was das für eine jeweilige Situation war [Henriettes Hände klatschen aufeinander], war mir nicht möglich. Genau, ...und dann habe ich weiter überlegt, und gedacht, ich würde gern die Betrachter, also Leser der Publikation – genau, wie während der Performance selbst – zu einer Aktion bewegen. Das heißt, die Publikation müsste etwas anderes sein, als ein gewöhnliches Buch, das man aufblättert, zublättert, weglegt, dessen Umschlag man mal betrachtet. Ich wollte gern, daß man die Publikation auch weiter benutzen kann – auch im Nachhinein. Und man sie sich beispielsweise als Poster an die Wand hängen könnte. Was im Fall von my 500 years old children total sinnvoll gewesen wäre. Eine Seite hätte eine Vielzahl roter Tücher gezeigt, die zusammengenäht waren zu einer großen Fläche – eine Skulptur der Performance, wenn man so will. Diese Tücher trug man während der Führung auf dem Kopf. Und 1930 auch, um zu zeigen, daß man Teil der Arbeiterklasse war. Das Bild hätte also eine Aufladung, sofort. Aber man muss es sich nicht aufhängen, man kann es auch sehr klein falten. Genau. 

Dann habe ich mir allerdings die Frage gestellt, was mach ich auf die andere Seite und wie soll das Prospekt zu drehen sein, wie zu benutzen. Und das wurde dann alles so kompliziert und hat plötzlich etwas ganz anderes bedeutet, als es eigentlich wollte. Unglaublich aufwendig erschien mir die Puplikation irgendwann und nicht… ja, überhaupt nicht dem Raum entsprechend, an dem die Performance stattfand. Und dann habe ich die Puplikation nicht gemacht.

Angelika: Du hast es nicht gemacht, aber du hast ja im Kopf gehabt, vielleicht, wie groß das Poster oder die Publikation wird. Kannst du das einmal andeuten, mit deinem Körper?

Henriette: Ja, so – vielleicht von A5 ausgehend – das man es dann auffaltet. (Henriette faltet aus). Hätte man dann hochformatig aufhängen können. Ja genau. 

Die Fotografie von den aneinandergenähten Tüchern habe ich lange bearbeitet und dachte am Ende es wäre eigentlich doch gut, wenn sie aus Stoff wäre. Wenn die Publikation ein Textil wäre, das ich weitergeben könnte. Wie ein Geschenk [Henriette lacht]… Es wäre eine Weiterführung der Arbeit… das auf jeden Fall. Es wäre keine informative Publikation, die Auskunft darüber gibt, was zu sehen gewesen ist. Keine Bewegungsfolgen wären zu sehen, oder das Gefühl, was man hatte. Es wäre ein rotes Tuch, ein Objekt, das zu unterschiedlichen Zeiten an einem Ort gewesen ist, wo viele Menschen unterwegs waren. Und aber eben nur ein Tuch.

Angelika: Also ist für dich die Publikation auch ein Raum, der Grenzen hat? Und ein Raum, der… Also eigentlich kann man ja die Performance überschreiben, aber das kannst du ja dann nicht. Sondern das machen dann die Menschen, indem sie die Publikation (das Tuch) auffalten und durch die Art, wie sie damit umgehen.

Henriette: Genau. Ich glaube, ich fand es so unglaublich schwierig im Anschluss an die Performance eine Publikation zu erschaffen, weil ich die ganze Zeit darüber nachgedacht habe, wie sie von Außen betrachtet werden würde und unglücklicher Weise immer noch davon ausgehe, daß sich die Menschen dafür keine Zeit nehmen. 

Das Gefühl ist so ein bischen gewesen, mir ist das Format der Publikation – ja – zu klein. Es wäre dem ganzen nicht gerecht. Und dann dachte ich weiter, es ginge darum die Performance attraktiver zu machen, indem ich z.B. noch eine andere Ebene mit rein nehme. Der Weg hin zur Performance solle erzählt werden… Außerdem musste es innerhalb der Ausstellung (der Rahmen in dem die Performance gezeigt wurde) die Möglichkeit geben, zu wissen: diese und diese Performance fand statt (zum Beispiel zur Eröffnung.) Es wird sie nicht noch einmal geben. Es sind mit der Performance my 500 years old children 2 Filme entstanden. In diesen Videos habe ich persönliche Notizen, die ich während der Erarbeitung gemacht habe, als Subtext laufen lassen. Diese hätte man abdrucken können. Auf der Rückseite des roten Tuchs.

Angelika: Ich überlege gerade ob, … Also die Freiheit, die du dir nimmst in der Performance  – diesen Freiheitsgrad – möchtest du ja auch in der Puplikation ansetzen?! (Ja.) Ich komme darauf, weil du jetzt viel von den Betrachter:innen gesprochen hast; ob sie sich Zeit nehmen kann und ob sie sich überhaupt Zeit nimmt… Ich hatte so etwas rausgehört von Effektivität – das eine Publikation auch eine Effektivität in der Zeit darstellen kann, gegenüber einer Performance, die man anschaut und…  vielleicht braucht aber die Publikation viel länger zum Begreifen, als die Performance. Und das ist ja das Schöne daran: so eine Publikation, die kann ich mir immer wieder ansehen – ich muss sie garnicht beim ersten Mal begreifen.

Henriette: Ja, ich glaube, das ist vielleicht der Punkt: man geht als Performer:in davon aus… also man begreift und spührt die Performance sozusagen ja körperlich und hat sie auch so erarbeitet; für ein Publikum, was von dir erwartet, daß du für diesen einen Moment aktiv bist. Und es will nicht, daß du in deren Hosentaschen kriechst und dann dort bleibst für mehrere Tage. [Henriette lacht] Also auch nicht in Form eines Buchs oder einer Publikation. Sondern, das Publikum weiß schon: das ist für jetzt und es ist danach auch wieder vorbei. Genau. Was bleibt, ist Erinnerung. Oder eine Fotografie, die Erinnerung anstachelt.

Also ja, ich glaube der Punkt ist vielleicht, das man so eine Puplikation irgendwann auch laufen lässt (vielleicht) und sagt: okay diese Publikation ist nicht dazu da, der Performance gerecht zu werden und das Kunstwerk schön zu präsentieren, sondern die Publikation ist eben die Möglichkeit eine ganz andere Ebene zu bedienen, die eben auch länger bei dir bleiben kann. Der Moment kann ausgewählt werden, in dem man betrachtet. Der Moment ist auch wesentlich intimer, als wenn man sich – wie in diesem Fall in einer Gruppe gemeinsam – etwas betrachtet und dann wieder nach Hause geht. Ja, so kann man entscheiden, wie schlage ich die Puplikation auf, wie oft guck ich rein, vielleicht auch: bestelle ich sie mir extra noch oder leih ich sie mir aus. 

Ja genau, da muss man… also da muss ich… den Vogel fliegen lassen: also vertrauen – die Performance ist gewesen, sie steht so und das andere, die Publikation, ist etwas Neues.

Angelika: Also, mir kommt, wenn du das so beschreibst… das Bild von Zärtlichkeit in den Kopf. Wenn ich performe, versuche ich auch eine Sanftheit herzustellen zwischen mir und dem Puplikum, um eine Konzentration zu haben. Und in einer Publikation kann ich ja nicht so richtig bestimmen, wie zärtlich die Betrachter:in mit der Publikation ist. (Ja.) Aber diese Zärtlichkeit ist das, was ich gerne vermitteln würde. 

Henriette: Also, ich glaube schon, daß man den Grad der Zärtlichkeit festlegen kann. Indem man sich damit beschäftigt, wie sie aussieht, wie sie sich anfühlt, wie schwer sie ist zum Beispiel. Also welches Papier, wie kompartibel, wie sehr geht sie auf den Betrachter zu. Ist es ein kompliziertes Format und irgendwie sperrig, dann heißt es auch was. Also, die Liebe oder die Intensität des Verhältnisses zur Arbeit kann man schon sichtbar machen im Zweidimensionelen, klar. 

Angelika: Gut, ich drück jetzt gleich auf den Ausschaltknopf. Möchtest du noch einmal in die Luft springen? 

[Henriette springt] Vielen Dank.

Aufnahme: Angelika Waniek

Transkription: Henriette Aichinger

Angelika Waniek Henriette Aichinger Anna Till Hermann Heisig Irina Pauls Nora Frohmann und Clemens Fellmann