ist bildende Künstlerin in Leipzig und entwickelt ihre Arbeiten zwischen Skulptur und Klang. Sie spricht über die Klanginstallation, das Chorstück und die Schallplatte Brot und Ros-en (2020/2023).
Anna Schimkat im Gespräch mit Henriette Aichinger und Angelika Waniek im Februar 2024 / Ort: Atelier Anna Schimkat, Leipzig
Anna Schimkat: Mein Name ist Anna Schimkat. Ich bin bildende Künstlerin und ich arbeite an der Grenze zwischen Klang und Skulptur. Das heißt, mein Hauptmaterial, mit dem ich arbeite, ist Klang, Sound, Ton, aber eben immer räumlich gedacht. Ich würde mich immer noch als Bildhauerin bezeichnen und als Gestalterin von Räumen. Also, ihr seid heute zu Gast bei mir in meinem Atelier in Leipzig-Lindenau unweit des Lindenauer Markt, mein Atelier zu Hause seit etwa zehn Jahren.
Henriette Aichinger: Wir würden gern wissen, was du heute als Gesprächsobjekt mitgebracht hast.
Anna: Ich habe heute meine Schallplatte Brot und Ros-en mitgebracht. Ich bezeichne sie als Publikation, als erweitertes Kunstwerk in dem Sinn, weil dieses Projekt aus einer Installation, aus einer Performance zur Schallplatte mit Text und Booklet geworden ist. Ganz wichtig ist, dass der Prozess dieser ganzen Arbeit darin dokumentiert ist. Als Booklet und eben auch ist die Arbeit noch erweitert um einen Text zu dem Thema Schall/Raum/Körper, der in Zusammenarbeit mit Marcel Raabe entstanden ist.
Angelika Waniek: Das heißt, es gab eine performative Arbeit, eine Soundinstallation, von der du gleich auch noch ein bisschen erzählen kannst, wenn du möchtest. Und dann hast du überlegt, wie du sie transferieren kann, in was für ein Medium. Und du hast dich für die Schallplatte entschieden.
Anna: Genau. Ich habe mich für die Schallplatte entschieden. Ich fange mal ganz von vorne an und mache einen kurzen Umriss, damit man weiß, um was es geht. Also Brot und Ros-en ist ein Zitat aus einem Lied aus den 1970er Jahren, aus der Frauenbewegung in Westdeutschland. Diese deutsche Version geht aber auf ein Lied zurück, was in Amerika eines der ersten frauenbewegten Lieder war im Frauenkampf im 19. Jahrhundert: Bread and Roses. Genau da sind wir schon bei dem Thema. Es geht um Frauenbewegungen in Ost- und Westdeutschland und wie sich ihre Akteurinnen an das erinnern, was sie in den 70er und 80er Jahren aktiv gemacht haben. Allen voran Akteurinnen, die Musik und Klang als ihr Ausdrucksmittel hatten. Ich habe Akteurinnen in West- und Ostdeutschland interviewt oder mit ihnen Gespräche geführt und sie nach ihren akustischen Erinnerungen gefragt. Und aus diesen akustischen Erinnerungen habe ich eine Klanginstallation entwickelt. Damals noch mit sieben Druckkammerlautsprechern, die als Formation im Galerieraum standen. Und im Grunde genommen hat jeder Lautsprecher eine Akteurin symbolisiert. Eine Stimme kam aus jedem Lautsprecher. Und dann, aus diesen verschiedenen akustischen Erinnerungen, habe ich eine neue Komposition gemacht. Das Ganze gab es dann auch noch als Chorauftritt mit jungen Sänger*innen, die ungefähr in dem Alter waren, wie die Akteurinnen in den 70er 80er Jahren oder wie meine Gesprächspartnerinnen in den 70er, 80er Jahren. Und nochmal eine Runde später habe ich zwei weitere Leute interviewt, um das noch mehr in Richtung Punk zu erweitern. Das hatte ich in der ersten Version noch nicht so präsent drin. Ich fand es sehr, sehr wichtig, diesen Aspekt noch da drin zu haben. Die Frauenbewegung vor allem in Westdeutschland. Und dieses Gesamtkonglomerat wurde jetzt von neun Stimmen aus den frauenbewegten Zeiten der 70er/80er Jahre zur erweiterten Komposition für Schallplatte. Es wurde live gesungen und dann aufgenommen. Und Schallplatte deswegen, weil die Schallplatte ja auch das Medium der 70er und 80er Jahre war.
Henriette: War das für dich von Anfang klar, dass du eine Schallplatte machen willst? Oder gab es einen Auslöser?
Anna: Das ist entstanden, nach der Installation. Das ist viel Material gewesen, was ich da entdeckt, recherchiert und entwickelt habe. Das hat mir nicht gereicht, nur als Installation. Ich wollte gerne diese Recherche auch noch mehr Boden geben, Beachtung schenken können. Und dann gab es die Möglichkeit eine Edition bzw. eine Publikation daraus zu machen. Das war mir wichtig. Generell finde ich es wichtig, Publikationen von oder auch nach meinen künstlerischen Arbeiten zu machen. Gerade bei Klangarbeiten ist es für mich wichtig, da diese immer nur da sind, wenn sie passieren, und da bleibt nichts, so wie bei einem Bild oder wie bei einem Film, den man sich noch mal angucken kann. Eine Klanginstallation oder aber auch weitere ephemere Sachen, performative Auftritte zum Beispiel von Laienchören, die sind dann weg. Deswegen sind Publikationen immer eine Möglichkeit, das noch mal anders haltbar zu machen und eben auch der Recherche, die in den Arbeiten steckt, die Möglichkeit zu geben, sich noch mal zu entfalten.
Angelika: Das ist jetzt eher ein Kommentar: Was du beschreibst, ist eine Wertschätzung dem Material gegenüber und auch ein Aufbewahren deiner Rechercheergebnisse für ein späteres Publikum.
Anna: Ja, das kommt vor allen Dingen auch hier dazu, weil ich gemerkt habe, dass es von vielen dieser akustischen Erinnerungen gar keine Aufzeichnungen gibt. Also die Akteurinnen, die ich interviewt habe, das sind jetzt keine weltberühmten Solokünstlerinnen, sondern Akteurinnen, die aus einem inneren politischen Bedürfnis heraus aktiv geworden sind. Sie waren teilweise in die künstlerische Richtung, teilweise eher so in der Gewerkschaftsbewegung und privat engagiert. Und als ich sie gefragt habe, haben sie ihre Ordner rausgekramt, dort hatten sie ihre Texte und weitere Materialien drin. Aber sie haben das bei weitem natürlich nicht aufgearbeitet oder in Archiven dokumentiert oder so. Teilweise haben sie ihre Arbeiten gar nicht notiert. Wir haben dann auch mit Gabi Stötzer und Verena Kyselka[1] gesprochen, die die schöne Gruppe Erweiterte Orgasmusgruppe hatten in den 80er Jahren in Erfurt. Die haben mir einfach Kassetten vorgespielt von ihrem Originalmaterial, Mitschnitten von Performances, die sie auch teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht haben, weil sie es einfach ausprobiert haben. Und die habe ich dann notiert. Oder halt eben die Gruppe Hans-A-Plast, [2] die Punkband aus Hannover, die feministische Texte geschrieben haben, die aber ihre Sachen nie aufgeschrieben haben, auch nicht in Noten. Und jetzt wollte ich gerne, dass Leute das singen, dass Frauen das wieder singen können. Und dazu war nötig, die Noten zu finden. Also musste ich sie aufschreiben. Ja, das ist eine Wertschätzung. Und es ist auch eine Wertschätzung von Zeitzeugenschaft, die ja jetzt noch möglich ist. Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, sind jetzt zwischen 60 und 80. Und es ist auch eine Wertschätzung der Ideale dieser Frauen gegenüber, aber auch eine Infragestellung. Eine Fragestellung insofern, was im Speziellen bei diesem Projekt: Was sind eure Ideale gewesen? So wie ich generell Fragen an die Geschichte stelle, was hat die Geschichte mit dem Heute zu tun und was hast du damals gemacht und was bedeutet das heute für dich?
Henriette: Ich versuche den Prozess abzufragen. Kann diese Schallplatte, das was um das Kunstwerk herum geschieht, sichtbar machen?
Anna: Ja ich würde schon sagen, dass die Schallplatte eine runde Sache ist. [Anna lacht.] Als solche, aber auch inhaltlich. Und zwar auch deswegen, weil ich mich da noch mal mit Marcel [Raabe], der den Text geschrieben hat, intensiv auseinandergesetzt habe. Auf der A Seite ist die Komposition und auf der B Seite ist die Collage, die wir zusammen aus den Originalmaterial geschnitten und komponiert haben. Und das gibt dem Recherchematerial und dem Ausgangsmaterial eine Würdigung. Die Akteurinnen kommen noch mal zu Wort.
Angelika: Beim Zuhören habe ich dieses Bild, dass in den 70er Jahren etwas entstanden ist in Ost- und auch in Westdeutschland. Und das, was entstanden ist, ist ja etwas, was Vorläuferinnen hat. Aber du nimmst genau diese Zeit. Und jetzt hast du den Prozess beschrieben und auch die performative und die künstlerische Arbeit und jetzt die Schallplatte. Und ich mag diese Idee von: es kommt von einzelnen Haushalten und es geht wieder in einzelne Haushalte. Und ich würde dir gern die Frage stellen nach dem Verhältnis von Privathaushalt und institutionellem Archiv stellen: Möchtest du, dass diese Schallplatte auch in einem Archiv landet, das kein Privathaushalt ist?
Anna: Ja, das fände ich auch gut, wenn die in ein [institutionelles] Archiv kommen würde, weil dann würde die Arbeit der Akteurinnen, die eben nicht archiviert ist, oder dieses private Engagement auch eine Würdigung erfahren. Also über mich als Katalysator oder als Reflektor würde dann ein Engagement, was sonst verhallen würde, eine andere Würdigung erfahren. Nur, die Arbeit von Gabriele Stötzer, die werden auch anders bewertet, auch historisch oder auch in offiziellen Institutionen und auch Hans-A-Plast. Es ist auch eine Band, die jetzt gerade wieder eine Renaissance erfährt. Die anderen, die ich interviewt habe, sind Frauen, die sich in ihren Gruppen oder in ihrem Musikunterricht engagiert haben und gesungen haben.
Angelika: Also würdest du auch dem zustimmen, dass deine Arbeit der Übersetzung von einem ephemeren Moment in eine Schallplatte, in eine erweiterte Form von Publikation, auch ein politisches Moment ist? Mit dem Gedanken, dass es dann wieder eine Archivierbarkeit bekommt?
Anna: Mit der Archivierbarkeit auch eine Würdigung, eine Würdigung der des Engagements.
Henriette: Kannst du noch etwas über den Produktionsprozess erzählen? Welches Netzwerk du brauchtest und mit welchen Menschen du zusammengearbeitet hast.
Anna: Ja, also es gab große Zeitverzögerungen. Denn dieses Projekt ist auch ein Pandemieprojekt. Zu Beginn bin ich ja überall hingefahren zu den Akteurinnen, mit denen ich gesprochen habe. Die nächsten, die ich dann noch getroffen habe, habe ich nur noch online getroffen. Das ist auch ganz schön in der Collage zu hören. Man hört diese verschiedenen Medien. Und z.B. bei dem Gespräch mit Gabriele Stötzer und Verena Kyselka in Erfurt sind parallel die Wahlergebnisse von der Landtagswahl von 2019 zu hören. Und als wir eine Kassette anhören, geht in dem Moment die Kassette kaputt. In der Collage kommen die Medien nochmal zusammen.
Angelika: when paper performs versteht sich als künstlerische Forschung, aber auch als eine Forschung in und über Netzwerke. Und jetzt, hier in diesem Raum seid ihr, Anna Schimkat und Henriette Aichinger. Habt ihr Lust offenzulegen, wie eure Verbindungen in dem Projekt Brot und Ros-en ist?
Anna: Henriette hat mir den Raum zur Verfügung gestellt, in dem wir aufnehmen und in dem wir mit dem Chor zusammenkommen konnten. Und natürlich hat Henriette auch mitgesungen, und wer die Platte kennt, hat bestimmt ihre Stimme auch schon erkannt. Henriette ist dabei Teil der Hans-A-Plast-Fraktion. Jede Sängerin hat eine Frau oder eine Akteurin verkörpert.
Henriette: Ich erinnere mich an die Aufnahmezeit und wie es immer intensiver wurde, weil man immer mehr in diese Person reinrutschte, also ohne sie zu kennen. Und immer mehr in diese Intensität, die das eben hat, was man da spricht. Es ist auch möglich zu singen, ohne den Inhalt zu fühlen oder zu spüren, aber dadurch, dass es ebenso gesungen werden sollte, fühlt man sich irgendwann wie eine der Frauen, die um etwas kämpft. Und das war ein sehr schönes Erlebnis.
Anna: Wir haben alles an einem Stück aufgenommen. Es ist nicht geschnitten. Henriette hat gesungen Hans-A-Plast.
Henriette: Ich hatte natürlich den schwierigsten Part. [lacht]
Anna: Du hattest den schwierigsten Part. Also das titelgebende Zitat. Und da haben alle mal so gesummt. Oh Oh Oh, das stinkt mir so. Diese Melodie. [Anna fängt an zu summen] Mhmhmhmhmhmhmhmhmhmhmhmhmhm Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag. Da vor dem Fabriktor stehen und … ich habe den Text vergessen.
Also diese Melodien, die kenne ich seit meiner Kindheit. Teilweise, weil ich mit dieser Musik groß geworden bin. Einer dieser Akteurinnen ist meine Mutter. Sie hat auf den Gewerkschaftsveranstaltungen gesungen. Und das jetzt habe ich gerade die Schallplatte rausgeholt und habe sofort wieder die Melodie im Kopf gehabt. So ist das mit diesen Melodien, dass sie sich so festsetzen im Körper.
Henriette: Für mich ist dieses Objekt etwas, was ich zu Hause habe. Sie steht im Schallplattenregal. Ich denke jedes Mal, ich würde es eigentlich lieber ins Bücherregal stellen, aber das Bücherregal ist nicht tief genug. Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen. Auch zu welcher Art von Tätigkeit es eigentlich passt, da das Thema sehr intensiv ist. Zum Abendbrot kann man das nicht einfach hören.
Anna: Ja, das ist interessant, weil für mich Schallplatte hören relativ normal ist. Und, ja ich denke schon auch, dass man dabei abwaschen darf.
Henriette: Ich werde das mal ausprobieren.
Anna: Und zuhören. Das ist ja das Schöne am Zuhören, dass man auch zuhören kann, wenn der Körper was anderes tut. Stell dir vor, du machst die Küche, hörst diese Platte. Was macht das in deinem Kopf? Wenn du da die Sorgetätigkeit für deine Familie machst, während du den Frauen, die auch die Sorgetätigkeit für ihre Familie übernommen haben, in den 70er, 80er Jahren, oder sich eben auch wie andere Frauen gegen Kinder entschieden haben. Was passiert da, wenn du gleichzeitig den Idealen dieser Frauen lauscht und dabei das Geschirr abwäscht. Können wir natürlich auch als Mann machen. [Anna singt:] „Wenn wir zusammen gehen, gehen wir auch für den Mann” haben die immer gesungen, also die in Westdeutschland. Väter, Brüder, alle helfen mit.”